Spiegelbild

Mario Hené

Die Wahrheit verstummt, wenn sie zu reden beginnt,
ihr Herz ist aus Plastik, ihre Augen sind blind.
Die sehen nur das, was ihr gerade gefällt,
und ihr gefällt nur das, was ihr Weltbild erhält:
All die farbenfrohen Träume aus dem Modeparadies,
nur das Licht, niemals die Schatten;
ihr liebstes Wort heißt: Kompromiss.

Sie trägt ein Lächeln im Gesicht, das hat sie selbst gemalt,
damit sie wind- und wetterfestes Lebensglück ausstrahlt.
Das braucht sie für die Partys mit dem frierenden Buffet,
genauso, wie das Kleid mit dem gewagten Dekolleté.
Sie liest Hemingway vorm Schlafengeh‘n und schläft darüber ein,
dann träumt sie von Pamplona und von bittersüßem Wein.

In Vollmondnächten sehnt sie sich nach einem starken Mann,
der ihr zwei Kinder schenkt, mit denen sie dann spielen kann,
wie einst mit ihren Puppen, als sie selber noch ein Kind,
und Sie begreift wahrscheinlich nie, dass Kinder keine Puppen sind.
Liebe heißt für sie, dass alles, was sie liebt auch ihr gehört,
wenn einer anders darüber denkt, meint sie, sein Denken sei gestört.

Aus Zeitung, Film und Fernseh´n weiß sie, dass man leichter lebt,
wenn man sich an die Norm hält, darum ist sie stets bestrebt,
die Rolle gut zu spielen, die der Mann den Frauen gab.
Sie legt nicht mal beim Schlafen ihre Maske ab.
Sie ist nur ein Spiegelbild, sie hat kein eigenes Gesicht.
Was ihr fehlt ist jemand, der ihr zeigt, wie man den Spiegel zerbricht.

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